• Petition

    Schleswig Holstein

Für eine Ernährungswende in öffentlich finanzierten Einrichtungen!

Erwartungen an die Landesregierung in Schleswig-Holstein

PDF-Download Positionspapier Mai 2022

Warum sollte die Landesregierung aktiv werden?
Aktuell zwingen uns der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine und die Corona-Pandemie, unsere Erzeugung und Versorgung mit Lebensmitteln neu zu überdenken. Gleichzeitig steht unser Ernährungssystem vor weiteren enormen Herausforderungen im Hinblick auf den Gesundheits-, Tier-, Umwelt- und Klimaschutz sowie im Hinblick auf faire Preise und Menschenrechte in Nahrungsmittellieferketten. Das aktuelle Landwirtschafts- und Ernährungssystem verursacht Schäden mit hohen gesellschaftlichen Folgekosten. Deshalb muss die Politik Rahmenbedingungen setzen und Fördermaßnahmen finanzieren, um einen nachhaltigen Wandel zügig voranzubringen.

Ein wichtiger Hebel für die Umgestaltung unseres Ernährungssystems ist die öffentliche Beschaffung von Lebensmitteln und die Etablierung von Nachhaltigkeitsstandards für die Verpflegung in öffentlich finanzierten Einrichtungen wie zum Beispiel Kitas und Schulen. Dadurch können wichtige Impulse ausgehen für eine Umstellung der Nahrungsproduktion. 

Eine gesundheitsförderliche, nachhaltige Ernährung ist zudem Teil des staatlichen Bildungsauftrags. Kinder und Jugendliche sollten die Chance bekommen, in Kitas und Schulen gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährungsgewohnheiten zu entwickeln. Es ist wissenschaftlich belegt, dass unser Ernährungsverhalten als Erwachsene in der Kindheit entscheidend geprägt wird. Daher können in Kita und Schule erlernte nachhaltige Ernährungsstile einen langfristigen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben. 

Nicht allein die Kommunen sind gefragt – auch die Landespolitik sollte Weichen für eine an Maßstäben für Nachhaltigkeit ausgerichtete Gemeinschaftsverpflegung stellen, um den notwendigen Wandel hin zu einem zukunftsfähigen Ernährungssystem spürbar voranzubringen.

 

Wir erwarten, dass die neue Landesregierung innerhalb von einem Jahr einen Aktionsplan vorlegt, der folgende Maßnahmen beinhaltet:

1. Bestandsaufnahme zur Verpflegung öffentlich finanzierter Einrichtungen1

Die Situation der Verpflegung öffentlich finanzierter Einrichtungen in Schleswig-Holstein ist sehr heterogen – während es einige positive Beispiele für hohe Qualitäts-, Nachhaltigkeits- und Fairness-Standards zu angemessenen Preisen gibt, passiert in vielen Einrichtungen noch zu wenig. Der Kenntnisstand zur Gesamtsituation im Hinblick auf die Organisation, Preisgestaltung, Qualität und Nachhaltigkeit der Verpflegung in öffentlich finanzierten Einrichtungen in Schleswig-Holstein ist gering. Um Maßnahmen sinnvoll planen zu können, ist eine vorausgehende Bestandsaufnahme notwendig – diese sollte durch die Landesregierung in Auftrag gegeben und angemessen finanziert werden.

 

2. Gesetzliche Verankerung von Mindeststandards für eine nachhaltige Verpflegung

Für öffentlich finanzierte Einrichtungen wie z.B. Kitas, Schulen und Kantinen der Landesregierung sollten folgende Mindeststandards für eine nachhaltige Verpflegung gesetzlich verankert werden:

Standards für mehr Tier-, Gesundheits- und Klimaschutz:
Ab 2025 sollten alle tierischen Lebensmittel, die in öffentlich finanzierten Einrichtungen eingesetzt werden, aus ökologischer Tierhaltung kommen. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Fleisch- und Wurstkonsumsollten für öffentlich finanzierte Einrichtungen verbindlich verankert werden – zum Schutz der Gesundheit und des Klimas. Fisch sollte nur eingesetzt werden, wenn er nicht mit zerstörerischen Fischereimethoden (wie z.B. der Grundschleppnetzfischerei) gefangen wurde. Der Kauf von ausschließlich zertifiziert nachhaltigem Fisch sollte als Standard etabliert werden.

Faire Lieferketten: 
Die Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnormen sollte in Kantinen des Landes verbindlich vorgeschrieben werden und mit glaubwürdigen Nachweisen belegt werden müssen. Der Anteil von fair gehandelten Produkten sollte bei bestimmten Produkten (z. B. bei Bananen, Reis, Nüsse) stufenweise angehoben werden. In Catering-Betrieben, die öffentlich finanzierte Einrichtungen versorgen, sollte tarifliche Entlohnung sichergestellt werden.

Novellierung des Vergabegesetzes: 
In Schleswig-Holstein sollten soziale und ökologische Kriterien in der öffentlichen Beschaffung wieder verbindlich sein – dies sollte auch für die Lebensmittelbeschaffung durch kommunale Kita- und Schulträger gelten.

 

3. Entwicklung einer Ernährungsstrategie 

Die Landesregierung sollte eine Ernährungsstrategie mit konkreten Zielen und Maßnahmen für eine nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung in öffentlich finanzierten Einrichtungen unter Einbeziehung aller relevanten Akteursgruppen erarbeiten. Aus unserer Sicht sollten mit der Ernährungsstrategie folgende Ziele bis 2030 erreicht werden:

• Öffentlich finanzierte Einrichtungen setzen in ihrer Verpflegung bis 2030 100% Bio-Lebensmittel3 ein, soweit möglich aus der Region oder – bei importieren Produkten – soweit möglich aus Fairem Handel. Erfahrungen von Bio-Caterern zeigen, dass Mittagessenspreise nicht zwingend teurer sind als Mittagessen mit konventionellen Lebensmitteln, selbst wenn 100% Bio-Lebensmittel eingesetzt werden. Ein Bildungs- und Beratungsprogramm (siehe Punkt 4) soll Küchenfachkräfte dabei unterstützen, den Bio-Anteil schrittweise zu erhöhen und durch die Etablierung eines insgesamt nachhaltigen Verpflegungskonzeptes Preise in einem angemessenen Rahmen zu halten. 

• Für den Einsatz tierischer Produkte werden ambitionierte Standards entwickelt und etabliert, um einen wesentlichen Beitrag zu leisten für den Tier-, Gesundheits- und Klimaschutz. Die oben beschriebenen Mindeststandards sollten schrittweise erhöht werden – so sollten tierische Produkte langfristig bevorzugt von Anbauverbänden eingesetzt werden, die erhöhte Tierschutz- und Nachhaltigkeitsstandards umsetzen (abhängig von der Verfügbarkeit dieser Produkte). 

• Stopp der Lebensmittelverschwendung: Es werden umfassende Abfallvermeidungskonzepte für die Verpflegung öffentlicher Einrichtungen entwickelt und etabliert, um die Abfallquote bis 2030 entsprechend der UN-Nachhaltigkeitsziele um 50% zu reduzieren.

• Gutes Essen sollte für alle bezahlbar sein. Gleichzeitig sollten Caterer für gutes Essen angemessene Preise erhalten. Im Rahmen des vorgeschlagenen Bildungs- und Beratungsprogramms (siehe Punkt 4) sollten Kita- und Schulträger beraten werden, welcher Preiskorridor für ein Mittagessen angemessen ist, um eine gute Qualität und die Erfüllung der Nachhaltigkeitsanforderungen sicherzustellen. Das Bildungs- und Beratungsprogramm soll Caterer auch dabei unterstützen, Kosteneinsparungspotenziale bei der Verpflegung zu nutzen. Die Landesregierung sollte finanzielle Mittel bereitstellen, damit Geringverdiener*innen bei Bedarf Zuschüsse für die Verpflegung ihrer Kinder in Kitas und Schulen erhalten.

 

4. Förderprogramm „Bildung und Beratung für nachhaltige Verpflegung“ starten

Es sollte ein Förderprogramm zur Bildung und Beratung für eine nachhaltige Verpflegung errichtet und bis 2030 angemessen finanziert werden. Ziel des Programms sollte sein, Küchenfachkräfte bei der Umsetzung der erhöhten Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanforderungen im Rahmen der zu entwickelnden Ernährungsstrategie zu unterstützen. Die Beratungsleistungen sollten flächendeckend in Schleswig-Holstein angeboten werden und sich an Erfolgsmodellen (wie z.B. an der Bildungs- und Beratungsarbeit des House of Food in Dänemark) orientieren. Im Rahmen des Programms soll zudem Informations- und Bildungsarbeit für relevante Akteure (Eltern, Kinder, Leitungen der Einrichtungen und pädagogisches Personal) geleistet und Beteiligungsprozesse geschaffen werden, um Unterstützung und Akzeptanz für die Umstellung der Verpflegung zu gewinnen. 

 

5. Erfolgskontrolle einplanen 

Die Fortschritte und Hindernisse bei der Umsetzung der Ernährungsstrategie und der Mindeststandards sollten jährlich evaluiert werden, um eine erfolgreiche Umsetzung sicherzustellen und bei Bedarf notwendige Anpassungen vornehmen zu können. Die Landesregierung sollte für eine angemessene Finanzierung der jährlichen Evaluation sorgen.

Mit der erfolgreichen Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen kann die Landesregierung gemeinsam mit den beteiligten Akteuren einen Beitrag leisten zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) – insbesondere der SDGs Nr. 6, 8, 11, 12, 13 und 15.

 

Warum sind diese Maßnahmen für eine Ernährungswende in öffentlich finanzierten Einrichtungen notwendig? 

Dringender Handlungsbedarf für unser Ernährungssystem
Die Herausforderungen in unserem Ernährungssystem sind groß: Der Weltklimarat hat 2019 aufgezeigt4, dass bis zu 37% der weltweiten Treibhausgasemissionen mit unserem Ernährungssystem zusammenhängen – von der Produktion über den Transport und die Lagerung bis zur Zubereitung der Lebensmittel. Wissenschaftliche Studien verdeutlichen, dass die Pariser Klimaziele nur dann erreicht werden können, wenn sich auch unser Ernährungssystem grundsätzlich wandelt, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten5.  

Gleichzeitig stellt der Klimawandel durch die Häufung von Extremwettereignissen wie Dürren und Überschwemmungen die Landwirtschaft vor enorme Herausforderungen. Besonders betroffen von regionaler Nahrungsmittelknappheit und Preisschwankungen sind Menschen im Globalen Süden.  Schon heute leiden mehr als 800 Millionen Menschen weltweit unter Hunger, drei Viertel von ihnen leben auf dem Land und arbeiten zumeist in der Nahrungsmittelproduktion. Aber die Dürresommer 2018 und 2019 haben die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft auch in Deutschland sichtbar gemacht. 

Ein grundlegender Wandel unseres Landwirtschafts- und Ernährungssystems ist auch über den Klimawandel hinaus wichtig, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Denn unser Ernährungssystem ist die bedeutendste Ursache für den Verlust von Lebensräumen und biologischer Vielfalt, für Landdegradierungen und die Gefährdung nutzbarer Süßwasserreserven. Das durch die Landwirtschaft entscheidend mitverursachte Artensterben und der Verlust an fruchtbaren Böden stellt eine Bedrohung für die zukünftige Nahrungsproduktion dar. Eine drastische Reduktion des Einsatzes von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln ist von hoher Bedeutung für den lebenswichtigen Schutz von Böden, Gewässern und und der Artenvielfalt. 35% der weltweiten Nahrungsproduktion ist  abhängig von der Bestäubung durch Insekten6  – die Landwirtschaft muss umgestellt werden, um Insekten zu schützen und damit auch die eigenen Produktionsgrundlagen zu erhalten.

Essenziell ist ebenfalls eine Umstellung auf mehr Tierschutz und Nachhaltigkeit in der Tierhaltung. Die gegenwärtigen Haltungsbedingungen sind häufig mit dem Tierschutzrecht nicht vereinbar.7 Um dem Anspruch echten Tierschutzes gerecht zu werden, brauchen Tiere unter anderem wesentlich mehr Platz. Zudem ist eine Reduktion der Tierbestände und des Konsums tierischer Lebensmittel erforderlich, um einen dringend notwendigen Beitrag zur Abmilderung der Klimakrise und zur Sicherung der Welternährung zu leisten. Dies ist auch im Interesse des Schutzes von Menschen vor lebensbedrohlichen Krankheiten: Der zu hohe Konsum von Fleisch und Wurst führt zu einem erhöhten Risiko für Krebs, Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen.8 Darüber hinaus führt der hohe, regelmäßige Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung zur Ausbreitung multiresistenter Keime. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einer Ära, in der gewöhnliche Infektionen und leichte Verletzungen auf Grund antibiotikaresistenter Keime wieder tödlich werden können.9 Die kontinuierliche Zerstörung von Regenwäldern für die Futtermittelproduktion erhöht zudem das Risiko für die Ausbreitung von Krankheitserregern, die von Wildtieren auf Menschen übertragen werden – es besteht die Gefahr, dass nach Corona weitere Pandemien folgen.10  

Auch die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Verfügbarkeit und Preise von Lebensmitteln und Düngemitteln verdeutlichen akut, was aus anderen Gründen schon längst klar ist: Die
Ernährungssouveränität und –resilienz muss gestärkt werden. Ackerflächen sollten zunehmend für den Anbau von Lebensmitteln verwendet werden, statt sie ineffizient für die Herstellung von Futtermitteln zu nutzen – nur so ist eine weitgehend regionale Lebensmittelversorgung möglich. Die Abhängigkeit von fossilen Energien für die energieaufwendige Herstellung von Düngemitteln muss zudem drastisch reduziert werden. 

Insgesamt belaufen sich die Kosten, die die Landwirtschaft in Deutschland durch Schäden z.B. im Hinblick auf Klima, Biodiversität, Luftschadstoffe, Wasserbelastungen und Bodendegradierung verursacht, laut der Zukunftskommission Landwirtschaft auf 90 Milliarden Euro jährlich.11 Der Handlungsbedarf ist also enorm. Das gilt auch für die bisher fehlende Fairness in unserem Ernährungssystem – national und international: Entlang internationaler Lieferketten kommt es verbreitet zu Menschenrechtsverletzungen und zur Verwehrung existenzsichernder Einkommen in der Nahrungsproduktion. Es muss dringend darauf hingewirkt werden, dass die landwirtschaftlichen Produzent*innen für ihre Produkte faire Preise bekommen, so dass sie damit auskömmlich wirtschaften können. Durch ein ambitioniertes EU-Lieferkettengesetz müssen verbindliche Regelungen geschaffen werden, um den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards sicherzustellen. Ein internationaler Handel, der auf Partnerschaft und Fairness beruht, befördert zudem resilientere Lieferketten.

Auch im Fischereisystem und bei unserem Fischkonsum muss für mehr Fairness und Nachhaltigkeit gesorgt werden. 80% des in Deutschland konsumierten Fisches wird importiert – größtenteils aus Ländern des Globalen Südens, in denen die Menschen viel mehr auf Fisch als Nahrungs- und Einkommensgrundlage angewiesen sind. Die industrielle, häufig auch illegale Fischerei stellt für sie eine Bedrohung dar. Gleichzeitig sind Grundschleppnetzfischerei und andere umweltschädliche Fischereimethoden weit verbreitet – sie zerstören die Meeresbiodiversität und tragen erheblich zu klimaschädlichen CO2-Emissionen bei.12 

 

1 Mit öffentlich finanzierten Einrichtungen sind insbesondere Kitas, Schulen und Krankenhäuser gemeint (sofern sie öffentliche Gelder erhalten) sowie Einrichtungen des Landes, der Landkreise und Kommunen, in denen Verpflegung angeboten wird (z.B. in Kantinen und beim Catering für Veranstaltungen)

2 https://www.dge.de/gv/dge-qualitaetsstandards/?L=0

3 EU-Öko-Verordnung 2018/848

https://www.ipcc.ch/srccl/

5 https://www.science.org/doi/10.1126/science.aba7357

https://cordis.europa.eu/article/id/26574-pollinators-key-to-one-third-of-global-crop-production/de

https://www.greenpeace.de/publikationen/rechtsgutachten-konventionellen-schweinemast

https://www.iarc.who.int/featured-news/media-centre-iarc-news-redmeat/

https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/antibiotika-who-warnt-vor-weltweit-steigenden-resistenzen-a-966796.html

10 https://www.science.org/doi/10.1126/science.abc3189

11 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/abschlussbericht-zukunftskommission-landwirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=15

12 https://www.nature.com/articles/s41586-021-03371-z.epdf?sharing_token=d7q4xw-G5VcSEOZbkOKoE9RgN0jAjWel9jnR3ZoTv0MwjSp_dqdYRo11ccDn9dqPW5D1xJuK8fpT__q4KFNUwr3chDwJyG9IO5W1aWFy5om4rjrtPpwoPhh8lecRX4YI2DOaZc_5Z-oJr9OWWYCQTiQu_TyleTEdjrY3ggiOqzJqN41gT9KVFv1GXz4SDwL0iQOtr2IA6WRPPnW4B7G3Qg%3D%3D&tracking_referrer=time.com


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