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Aktuelles Projekt
Gesundheit von Mensch & Planet
Die multiplen Krisen unserer globalen Ernährungssysteme zeigen, dass eine globale Agrar- und Ernährungswende längst überfällig ist. Wir brauchen eine grundlegende Transformation hin zu nachhaltigen, demokratischen, gerechten und gesunden Ernährungssystemen.
Der bevorstehende Welternährungsgipfel der Vereinten Nationen (UN Food Systems Summit, UN FSS) und der vorausgehende nationale Dialog der Bundesregierung könnten wesentliche Lösungsansätze liefern und umsetzen, was der Weltagrarbericht bereits vor mehr als zehn Jahren gefordert hat: „Business as usual“ ist keine Option. Doch statt diese Chance zu ergreifen, bewegt sich der Gipfel im „Weiter so“ und setzt stark auf Produktionssteigerungen und technologische Innovationen. Zusammen mit dem Weltwirtschaftsforum, aber die ohne Konsultation von UN-Mitgliedsstaaten, initiiert und als Multi-Stakeholder-Modell verpackt, laden die Vereinten Nationen gezielt Akteure aus der Privatwirtschaft an den Diskussionstisch. Dadurch wird der Multilateralismus der Vereinten Nationen und somit auch unsere demokratischen Werte wesentlich in Frage gestellt. Außerdem erweisen sich sowohl der Gipfel als auch der deutsche nationale Dialog in der Gestaltung und Ausrichtung bisher als intransparent und wenig inklusiv, weshalb Betroffenengruppen und kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft befürchten, die Ergebnisse des Gipfels könnten die katastrophalen Fehlstellungen unserer derzeitigen Ernährungssysteme wohl eher verstärken als lösen. Damit verpasst der Gipfel eine wichtige Chance.
Dieser 2019 angekündigte Gipfel ist das Ergebnis einer stark kritisierten, neuen Kooperation zwischen dem Weltwirtschaftsforum und dem UN-Generalsekretär. Die UN-Mitgliedsstaaten – die traditionellen Initiatoren solcher Gipfel - wurden nicht wirklich konsultiert und die UN-Generalversammlung hat sich ebenso nicht dazu geäußert. Das ist neu, denn in der Vergangenheit wurde der Welternährungsgipfel von der Generalversammlung bestätigt. Zudem hat der Gipfel versäumt, trotz vielfältiger und namhafter Kritik, auf wichtigen bereits bestehenden UN-Gremien wie dem UN Committee on World Food Security (CFS) und seinen Prozessen aufzubauen. Einige Akteure der internationalen und nationalen Zivilgesellschaft versuchen dennoch innerhalb des Gipfels bzw. des nationalen Dialogs der vorherrschenden, von unternehmerischen Interessen geprägten Ausrichtung entgegen zu wirken. Der Großteil jedoch sieht bisher wenig Grundlage sich in den Gipfel - der das seit dem Welternährungsgipfel 1996 etablierte Prinzip der Selbstorganisation der Zivilgesellschaft ignoriert - und seine Prozesse einzubringen. Stattdessen wird dieser immer mehr als eine wichtige, aber vor allem vertane Chance angesehen.
Die sich mobilisierende internationale und nationale Zivilgesellschaft fordert grundsätzlich von der Regierung, die Prinzipien der Transparenz, Rechenschaftspflicht und Inklusivität bei UN-Prozessen zu stärken, anstatt sie zu beschädigen. Zudem sprechen sich diese Organisationen für eine grundlegende Transformation der bestehenden Systeme nach sozialen und ökologischen Kriterien aus, die zwingend am Menschenrecht auf Nahrung und damit dem Recht für alle Menschen weltweit, sich selbst und ihre Familien mit ausreichend gesunder Nahrung zu versorgen, ausgerichtet ist.
Wir – die Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Ernährung (AGLE) des Forums Umwelt und Entwicklung (FUE) - kritisieren, dass der Gestaltungsprozess des Gipfels sowie des nationalen Dialogs der Bundesregierung, welcher vom 8. bis 10. Juni 2021 stattgefunden hat, angesichts der vielen weiterbestehenden Kritikpunkte wenig Grundlage für eine Teilnahme geboten haben.
Der Gipfel ist in seiner jetzigen Form eindeutig kein zielführender Weg, um Lösungsansätze für die multiplen Krisen der globalen Ernährungssysteme zu formulieren. Gute Ideen liegen bereits auf dem Tisch, benötigen aber einen neuen Rahmen.
Wir rufen die Bundesregierung dazu auf, sich substanziell und auch auf europäischer Ebene mit den Problemen des UN FSS und seiner nationalen Dialoge auseinanderzusetzen. Insbesondere die positiven Erfahrungen des CFS – wie in Hinblick auf die Realisierung des Rechts auf Nahrung und die Beteiligung von Betroffenengruppen an Entscheidungsprozessen – sollten auch in anderen Institutionen der Vereinten Nationen aufgenommen werden.