„Wir schaffen einen transparenten und demokratischen Supermarkt.“

18.05.2021

Fabian Gebert

Interview mit den Initiator*innen des WirMarkts in Hamburg

 

Im Oktober 2020 starteten Barbara Knoben und Fabian Gebert die Initiative „WirMarkt“ in Hamburg. Im Gespräch mit der Agrar Koordination erzählen sie wie sie die Lebensmittelversorgung transparenter und demokratisch gestalten wollen.

Agrar Koordination: Was ist am WirMarkt anders als bei den gängigen Supermarkt Modellen?

Barbara Knoben: Der WirMarkt ist ein ehrlicher Lebensmittelmarkt, der es den Konsument*innen ermöglicht sich innerhalb der planetaren Grenzen zu ernähren. Bei uns steht nicht die Gewinnorientierung im Vordergrund, also wir motivieren die Kund*innen nicht dazu mehr und mehr zu kaufen, sondern wir wollen sie zu einer gesunden und nachhaltigen Lebensmittelversorgung befähigen. Das heißt bewusst zu machen: was brauche ich? Und: was ist gesund für mich und die Umwelt? Und wir machen transparent, was die Produzent*innen für ihre Produkte brauchen, damit sie ein würdevolles Auskommen haben.

Was sind eure Motive, euch für das Thema Ernährung einzusetzen und die Initiative WirMarkt zu starten?

B. Knoben: Das Thema Ernährung und Lebensmittelerzeugung ist für mich grundlegend für soziale wie ökologische Gerechtigkeit und Gerechtigkeit ist für mich ein Grundbedürfnis, das mir auf den Herzen brennt und für das ich mich gerne einsetzen will.

Fabian Gebert: Mein Hobby ist das Gärtnern und Natur ist mir sehr wichtig.  Die Schnittstelle zur Umwelt ist die Landwirtschaft und Nahrungsproduktion. Zurzeit läuft vieles schief in den Lieferketten, mit dem WirMarkt kann ich etwas Positives beitragen.

Wie wollt ihr mit dem WirMarkt einen Lebensmittelmarkt des Vertrauens schaffen?

B. Knoben: Für uns ist es sehr wichtig, durch Beziehungen Vertrauen aufzubauen. Wir wollen unseren Kund*innen gegenüber ehrlich sein können und zum Beispiel die Kosten transparent machen, Wissen über unsere Lieferketten sichtbar machen und über soziale und ökologische Folgen informieren.

Wir wollen möglichst viele persönliche Beziehungen zu den Produzent*innen aufbauen und auch zeigen, wer hinter den Produkten steht die es im WirMarkt gibt. Und unsere Mitglieder können aktiv mitgestalten und werden gehört, das schafft auch Vertrauen.

Vielen Konsument*innen ist es wichtig zu wissen, wie ihre pflanzlichen und tierischen Lebensmittel produziert werden. Es gibt auch bereits viele Labels. Wie informiert der WirMarkt seine Kund*innen?

F. Gebert: Wir sind aktuell dabei, dies zu entwickeln. Es hat sich unter den Mitgliedern vom WirMarkt ein Team gebildet, das die Lieferketten recherchiert, anschaulich darstellt und kommuniziert. Wir starten mit den meistgekauften Produkten wie Kartoffeln, Äpfel, Milch oder Produkte mit besonders großen sozialen und ökologischen Folgen wie Schokolade oder Fleisch. Von dort aus arbeiten wir uns dann Schritt für Schritt durch das Sortiment.

Die Sprache spielt hierbei eine große Rolle, denn wir wollen nicht mit dem Finger auf uns gegenseitig zeigen, sondern Anreize schaffen, sodass die Mitglieder vom WirMarkt insgesamt nachhaltig konsumieren. Besonders wichtig ist uns, die Preise konkret zu erklären. Warum kosten sechs Hühner-Eier im Discounter 80 Cent und beim Bioladen 3,50 Euro? Welcher Anteil vom Preis entfällt eigentlich auf Erzeugung, Logistik, Handelsmarge, Marketing und Gewinnausschüttung? Wie teuer muss der Liter Milch sein, damit die Bäuerin auch in den Urlaub fahren kann? Wir erklären auch Produkte und Labels, die es gar nicht im WirMarkt gibt, da sie nicht den Werten des WirMarkts entsprechen. 

Wie kann ich denn Mitglied vom WirMarkt werden und diesen aktiv mitgestalten?

F. Gebert: Mitglieder zahlen einen monatlichen Mitgliedsbeitrag, den sie selbst wählen und der sich am Einkommen orientiert (ca. 1% des Nettohaushaltseinkommen), oder sie arbeiten 3 Stunden im Monat im WirMarkt mit. Entsprechend der eigenen Talente oder Wünsche helfen sie dann beim Regale befüllen, Saubermachen oder engagieren sich in der App-Entwicklung für Vorbestellungen, oder stellen Informationen über den sozialen Einfluss bestimmter Nahrungsmittel zusammen. Aktuell haben wir 75 Interessierte und 10 Mitglieder, die sich jeden Mittwoch in einem Online-Treffen austauschen können. Ein weiterer Ort für Begegnungen und Austausch soll zudem mit einem Café im WirMarkt entstehen. 

Faire Preise sind Euch wichtig. Wie könnt ihr faire Preise für die Produzent*innen schaffen?

F. Gebert: Im WirMarkt bieten wir ein Vollsortiment an, das sind um die 2000 Produkte. Wir werden von einem Handelspartner zu ökologischen und fairen Standards beliefert. Unser Ziel ist es nach und nach die Produkte noch direkter zu beziehen, wo dies sinnvoll ist. Ein Kartoffelbauer erzählte uns zum Beispiel, dass für ihn ein fairer Preis einen saisonalen Ausgleich beinhalten müsste. Dafür interessiere sich der Weltmarkt nämlich nicht. Der WirMarkt bietet die Plattform, dass wir direkt und langfristig von diesem Bauern zu einem fairen Preis die Ware beziehen können und dabei zum einen die Zwischenhandelsstufe entfällt, aber auch soziale und ökologische Extraleistungen vereinbart werden können, die unseren Mitgliedern am Herzen liegen.

Ihr habt im Oktober 2020 mit dem WirMarkt gestartet. In welcher Phase der Gründung seid ihr und wie geht es weiter?

F. Gebert: Anfang nächsten Jahres soll es den ersten WirMarkt in Hamburg geben. Wir haben einige Zeit damit verbracht, die passende Rechtsform für den WirMarkt zu finden, eine Rechtsform die sinnorientiert ist und wo demokratische Entscheidungen etabliert sind. Da es diese in Deutschland so noch nicht gibt, stehen wir momentan noch vor der Entscheidung, ob eine Genossenschaft oder eine GmbH in Verantwortungseigentum die geeignete Rechtsform ist. Starten werden wir nun erst einmal mit einer GmbH, die wir dann in einem Jahr in die geeignete Rechtsform überführen.

Aufregend ist, dass diese Woche unsere Crowdfunding-Aktion beginnt, um unsere Kampagnenarbeit und den Community-Aufbau zu finanzieren und um genügend Mitglieder für die Eröffnung des ersten WirMarkts zu gewinnen. Dies ist für uns auch wichtig, um zu testen, ob wir die Leute mit unserer Idee erreichen und begeistern können. Nebenbei läuft dann noch die Suche nach geeigneten Räumen in der Stadt.

Wie finanziert ihr eure Initiative? 

B. Knoben: Viel Ehrenamt und mit einem Stipendium von ProjectTogether, ein Sozialunternehmen, das junge Menschen deutschlandweit fördert, die Initiativen zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen entwickeln.

Welche Unterstützung wünscht ihr Euch von der lokalen Politik?

F. Gebert: Es würde helfen, wenn die Stadt Hamburg in Form einer Bürgschaft ein Teil des Risikos für den Start des WirMarkts übernehmen würde. Und auch nicht-materielle Unterstützung hilft. Zum Beispiel Ansprechpartner*innen für die Stadtplanung und der wichtigen Frage, wo geeignete Immobilien in der Stadt frei werden. Hilfe bei der Vernetzung mit Organisationen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen und Kontakte zu Fördermittelgeber*innen wären sehr wünschenswert. Wir sind mit ein paar Menschen dazu im Austausch, aber es könnte deutlich mehr Programme und Unterstützung für Initiativen wie unsere geben.

Barbara, Du hast bei unserer Online-Dialogveranstaltung „Ernährung & Demokratie“ im April den WirMarkt vorgestellt und mit vielen anderen Akteur*innen über die Gestaltung nachhaltiger Ernährungssysteme diskutiert. Was hast Du aus diesem Dialog mitgenommen und was wünscht Du dir für einen weiteren Austausch?

B. Knoben: Ich habe vieles mitnehmen können: zum einen haben sich viele Annahmen auch hier durch die Aussagen und Ideen der Teilnehmer*innen bestätigt, auch wenn sie wahrscheinlich aus der gleichen „Blase“ stammen, wie wir und bereits viel über das Thema wissen. Z. B. Dass kein Label-Dschungel hilft, sondern einfach erklärte Transparenz und vor allem Vertrauen durch Beziehung. Direktbezug spielt für viele eine große Rolle oder zumindest die Händler*innen zu kennen und sichtbar wahrnehmen zu können.

Aber es gab auch viele tolle neue Anregungen, vor allem zum Thema „wie erhöhen wir die Diversität im WirMarkt“. Z.B. durch viele partizipative Methoden und Veranstaltungen wie Kochkurse. Aber auch durch einfache Rezept-Ideen, die es erleichtern, mit den regionalen Lebensmitteln, die teilweise nicht jedem/ jeder bekannt sind, etwas anzufangen und Rezepte und Ideen, wie man trotz Bio erschwinglich einkaufen und kochen kann. Dieses Thema würde ich zum Beispiel gerne vertiefen bei der nächsten Gelegenheit. An den Ideen und Möglichkeiten weiter basteln, wie wir Menschen außerhalb der „Blase“ erreichen und einladen können.

 

Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch!

 

Weitere Infos: https://wirmarkt.org/

Crowdfunding-Aktion: https://www.startnext.com/wirmarkt-hamburg

 

Das Interview wurde am 10.05.2021 von Mireille Remesch geführt.

 

Mehr Infos zu unserem Online-Dialog "Ernährung & Demokratie.

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